Testamentsauslegung bei Streichungen im Testament: Ein Fall aus der Praxis

Die Testamentsauslegung ist eine der komplexesten Fragestellungen im Erbrecht. Ein aktueller Beschluss des Kammergerichts (KG, Beschluss vom 16. August 2024 – 6 W 39/23) beleuchtet eindrucksvoll die Herausforderungen, die sich bei unvollständigen Schlusserbeneinsetzungen ergeben. Dieser Fall bietet wertvolle Einblicke für Erblasser, potenzielle Erben und rechtliche Berater. Rechtsanwalt Friedrich Albrecht Lösener erläutert die wesentlichen Aspekte der Entscheidung und gibt praxisnahe Empfehlungen.

Hintergrund des Falls

Der Fall dreht sich um ein gemeinschaftliches Testament, das ein Ehepaar im Jahr 2010 errichtete. Während sich die Ehepartner gegenseitig als Alleinerben einsetzten, führten nachträgliche Streichungen und Zusätze bei der Schlusserbeneinsetzung zu Unklarheiten. Der zentrale Streitpunkt: Sollten die verbleibenden Erben die gesamten Anteile erhalten, oder war eine ergänzende Testamentsauslegung notwendig?

Die Herausforderung verschärfte sich, da das Testament Änderungen enthielt, die nicht abschließend geregelt wurden. Ein Vermerk im Testament („Wer noch 25 %?“) dokumentierte den Wunsch nach weiteren Regelungen, die jedoch nicht erfolgt sind.

Kernaussagen des Gerichts

Das Kammergericht stellte bei seiner Entscheidung mehrere Grundsätze der Testamentsauslegung heraus:

1. Ermittlung des Erblasserwillens (§§ 133, 2084 BGB):

Das Ziel der Auslegung ist allein die Erforschung des tatsächlichen Willens des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Wie ein außenstehender Dritter das Testament interpretiert, ist irrelevant.

Zur Klärung der Frage, was der Erblasser mit seinen Worten konkret sagen wollte, gehören auch die Umstände vor und nach Testamentserrichtung insbesondere des Verhaltens, der Äußerungen und Handlungen, soweit diese einen Rückschluss auf den Erblasserwillen zulassen. Zur Erforschung des Erblasserwillens gehört also auch die Einbeziehung von Briefen, E-Mails, Messengernachrichten und Gespräche.

Dabei gilt jedoch: Eine unterlassene Testierung kann nicht im Wege ergänzender Auslegung korrigiert werden.

2. Streichungen und die Wirkung unvollständiger Testamente

Streichungen und Zusätze berühren die Wirksamkeit eines gemeinschaftlichen Testaments nicht, solange diese von den ursprünglichen Unterschriften gedeckt waren und im Einvernehmen beider Ehegatten geschahen. Änderungen durch Streichungen führen lediglich zum Widerruf der betroffenen Erbeinsetzung.

Die Veränderung der Erbquoten der verbleibenden Erben richtet sich nach den gesetzlichen Auslegungsregelungen. Rechtsanwalt Friedrich Albrecht Lösener erläutert: „Wenn der Erblasser die als Erben eingesetzten Personen insgesamt nur mit einem Teil, beispielsweise nur über 50% des Nachlasses, bedacht hat, dann wird der Rest des Nachlasses nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge verteilt, das folgt aus § 2088 BGB.“

Sollte der Erblasserwillen darüber hinaus ergeben, dass ausschließlich die bedachten Personen Erben sein sollen, so werden deren Anteile verhältnismäßig erhöht (§ 2089 BGB).

Ein unvollständig ausgefüllter Erbteilungsplan wie der Zusatz „Wer noch 25 %?“ spricht gegen eine Anwachsung der verbleibenden Anteile. Dies deutet vielmehr auf den Wunsch hin, eine neue Regelung zu schaffen, die nicht getroffen wurde, sodass die 25% nach der gesetzlichen Erbfolge verteilt werden.

3. Ersatzerbeneinsetzung:

Die bloße Annahme, dass Abkömmlinge eines Erben automatisch dessen Platz einnehmen, reicht nicht aus. Es müssen eindeutige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Erblasser diese Rechtsfolge wollte (§ 2069 BGB).

Praktische Konsequenzen

Für die Praxis ergeben sich aus dieser Entscheidung wichtige Leitlinien:

  • Klare und vollständige Formulierungen:
    Testamente sollten so präzise wie möglich formuliert werden. Unklare Zusätze oder unvollständige Regelungen führen zu Streitigkeiten und können die Erbfolge erheblich verzögern.
  • Streichungen und Änderungen dokumentieren:
    Jegliche Änderungen an einem Testament sollten durch ein neues Testament oder eine ergänzende Verfügung präzise geregelt werden.
  • Rechtzeitige Beratung in Anspruch nehmen:
    Die Unterstützung durch einen spezialisierten Anwalt ist unerlässlich, um sicherzustellen, dass der tatsächliche Wille des Erblassers rechtssicher umgesetzt wird.
  • Berücksichtigung von Ersatzregelungen:
    Eine klare Regelung zur Ersatzerbfolge verhindert spätere Interpretationsprobleme.

Fazit: Rechtssicherheit durch präzise Gestaltung

Der Fall zeigt, wie wichtig es ist, Testamente mit größter Sorgfalt zu erstellen und regelmäßig zu überprüfen. Insbesondere bei Ehegattentestamenten ist die gemeinsame Absprache entscheidend. Wer seinen letzten Willen rechtssicher umsetzen möchte, sollte auf eine fundierte Beratung setzen. Unsere Kanzlei steht Ihnen hierbei mit Expertise und Erfahrung zur Seite. Wir sorgen dafür, dass Ihr letzter Wille nicht nur festgehalten, sondern auch durchgesetzt wird.

Kontaktieren Sie uns für ein unverbindliches Erstgespräch – gemeinsam gestalten wir Ihre erbrechtliche Zukunft oder unterstützen Sie bei der Auslegung uneindeutiger letztwilliger Verfügungen.